Zur Eröffnung der Buchmesse 2011: Bescheuertheit

Der Soziologe Rainer Paris hat in einem ausgezeichneten Artikel den Begriff „Bescheuertheit“ ausgezeichnet erklärt: „Die Realitätskonstruktion der Bescheuertheit ist durch eine eigentümliche Verweisungsstruktur gekennzeichnet. Um sich als kompakte Ideologie etablieren zu können, braucht sie einen relativ kleinen, überschaubaren Satz allgemeiner Aussagen, die sich wechselseitig bedingen und definieren und deren universale Gültigkeit niemals bezweifelt werden darf.“

Wir finden das zum Beispiel beim sogenannten „Klimaschutz“. Das Klima ändert sich, dadurch sterben Arten aus, fruchtbare Äcker werden zu Wüsten und der Grund dafür ist der Mensch.

Dass auch ohne Einwirkung des Menschen – aber immerhin wärend der Existenz des Homo Sapiens – sich das Klima mal so und mal so geändert hat, Arten ausgestorben (dafür neue entstanden) sind und die Sahara mal Ackerland war – das geht unseren bescheuerten politischen und gesellschaftlichen „Führern“ nicht in den Kopf.

Die genannten wollen ja in Wirklichkeit keinen Klimaschutz sondern eine Klimakonservierung, am besten auf nicht zu regenreiche, warme Sommer und nicht zu kalte, schneearme Winter in Europa.

Statt dass wir auf das Klima reagieren, werden Millionengelder im Versuch verbraten, mit einem Streicholz eine Lawine aufzuhalten. Der gesunde Menschenverstand sagt, dass man hier besser mit dem Strom schwimmen und sich auf die Veränderungen im Klima einstellen sollte.

Nicht nur beim Klima, auch im Marktgeschehen.

Siehe den Kampf der Musikindustrie gegen die bösen Raubkopierer: Das Internet ermöglichte es den Musikproduzenten, in Windeseile in London einen Sänger, in New York einen Bassisten und in Frankfurt den Rest eines Musikstücks aufzunehmen. Die neuen Möglichkeiten haben immer mehr – und auch immer mehr belanglose Titel auf den Markt gespült die nur noch mit agressiver Werbung zu Umsatz gemacht werden konnten.

Und da war es wieder das Phänomen von 1964: schnell gepuschte Bands aus der Retorte produzierten eine Single die in den Markt gedrückt wurde in der Hoffnung, dass sich die schnell produzierte LP auch verkaufte. Mit dem Vorteil (für die Hersteller) dass eine verkaufte LP halt ein Verkauf ist, egal wie frustriert der Kunde war. Macht ja nix – nach 20x abspielen war das Trägermaterial Müll und landete damit dort, wo es eigentlich von vorneherein hingehörte.

Mit MP3 und Internet hat sich das geändert: warum soll man 9 EUR für eine CD ausgeben wo nur ein Titel interessant war. Um diesen Titel ordentlich zu erwerben, musste man irgendeine CD kaufen wo der Song drauf war. Via Napster war das viel bequemer: ein 08/15 Titel wurde in 08/15 Sekunden heruntergeladen und wer den Song für kleines Geld ehrlich erwerben wollte, dem wurde eine lange Nase gezeigt.

Jahrelang wollte auch hier die Gesellschaft der Musikindustrie nicht verstehen was der Markt wollte: Musik, einmal erworben für die Ewigkeit zu einem angemessenen Preis, schnell und bequem zu erwerben, mehr Geld höchstens gegen Mehrwert.

Statt mit dem Strom zu schwimmen und dem Konsumenten das zu geben, was er will wurde (wie beim Klima) eine Politik der Konservierung gefahren: Digital Rights Management, Klagen, Prozesse, Patente.

Mit iTunes, Amazon und so weiter hat sich das weitestgehend erledigt: wenn mich eine Mucke interessiert, kann ich die für kleines Geld via Kreditkarte irgendwo bestellen. Die Zeiten, dass ich mir über einen Australischen Webshop die CD einer kleinen Band aus Brasilien bestellen muss sind glücklicherweise vorbei.

Auch die Filmindustrie (ok – da ist es ein Bandbreitenproblem) kommt langsam zur Erkenntnis, dass es einfach mehr Geld in die Kassen spült einen ollen Film für 5 EUR in einem gängigen Videoformat dem Anwender zum Download anzubieten als Kapazitäten in Filesharingprozessen zu binden.

Nun – LP, CD, MP3 und Video sind recht neue Formate, den Buchdruck gibt es schon länger und entsprechend durchseucht sind die Verlage von Lethargie, schliesslich ist es schon Jahrhundertelang so gut gegangen und dementsprechend interessiert ist die Branche an einer Konservierung des Marktgeschehens.

Spricht also Prof. Dr. Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels wie folgt bei der Eröffnung der Buchmesse 2011: „Was das digitale Format allerdings technisch möglich macht, ist der illegalen Umgang mit verlegten Inhalten. Und mehr noch: durch die Digitalisierung erhält Piraterie ein wirtschaftliches Gewicht. In Deutschland werden zur Zeit etwa 60 Prozent der genutzten elektronischen Bücher illegal heruntergeladen.“

Und weiter: Jedes Buch, das es digital gibt, wird es irgendwann auch illegal geben. Es muss auch genügend Leser und Mediennutzer geben, die sich legal verhalten. Doch dafür brauchen wir nicht nur hervorragende Angebote von Verlagen, sondern auch spürbare Sanktionen für rechtswidriges Handeln.

So weit, so gut. Aber….

Hat sich jemand mal Gedanken gemacht, welcher Aufwand hinter einer Digitalisierung steckt? Bei „MC Schlonz and the Motherfuckers“ ist das noch einfach: CD einlegen, Programm starten und nach paar Minuten liegt das als MP3 vor.

Bei Videos wird das schon etwas schwieriger: neben hinreichend Rechenpower ist auch etwas Erfahrung notwendig, um den Hauptfilm ordentlich vom unnötigen Rest (nämlich der angeblichen „Specials“ – bestehend aus Textwüste und uninteressanten Fotos) zu befreien und im Ernstfall auch an den passenden Stellen deutsche Untertitel einzufügen wenn das so vorgesehen ist. Eine Aufgabe, an der „Gelegenheitsripper“ gnadenlos scheitern und auch Profis immer mal wieder Schweissperlen auf die Stirn treiben.

Wenn der Freak dann – teilweise nach tagelanger Arbeit – sein Werk begutachtet und es für gut genug der heimischen Sammlung befindet denkt er sich „hm – sowas bieten die Rechteinhaber nicht an.. Ich stells einfach mal ins Netz damit andere von meiner Arbeit profitieren können“ und schon haben wir gemäss gängiger Klischees den Archetypus eines bösen Raubkopierers.

Bei Büchern ist der Weg der Digitalisierung noch schwieriger. Leser „ABC“ möchte ein Buch auf seinem eBook-Reader wärend der Zugfahrt von Frankfurt nach Berlin lesen. Das Buch gibt es nur Kopiergeschützt, leider nicht kompatibel mit seinem Gerät oder sonstwas. Er verwendet viel Zeit um irgendeine Quelle von Format A nach B zu wandeln und im Ernstfall scannt er das Buch um es via OCR und händischer Korrektur in ein frei verfügbares Format umzuwandeln. Aufwand: riesig, also stellt er das Resultat ins Netz damit sich andere die Arbeit sparen können.

Der olle Publilius Syrus war vor 2000 Jahren klüger als die Großkopfeten heute: „Jedes Ding ist wert, was der Käufer dafür zahlen will.“

Und was jammert nun Herr Prof. Dr. Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels weiter in seiner Rede?

Aber wie ernst wird dieses Thema in der Gesellschaft genommen? Bei der Wahl in Berlin hat die Piratenpartei fast neun Prozent der Stimmen auf sich versammeln können. […] Eines ihrer zentralen Ziele ist, wie gesagt, das Urheberrecht zu ändern, schließlich fuße der Begriff des „geistigen Eigentums“ – so die Begründung – auf einem veralteten Verständnis vom Umgang mit Inhalten. Die Forderungen sind beliebt bei denjenigen, die nicht davon leben, mit Texten, mit Literatur, mit Inhalten – sogenanntem geistigen Eigentum – umzugehen.

Naja.. Umgang mit sogenanntem geistigen Eigentum – wer das Verlagswesen kennt weiss, dass man als Autor sein Recht an seiner eigenen, geistigen Schöpfung mit der Unterschrift an den Verlag verliert.

Den Gipfel an Bescheuertheit lieferte Aussenminister Westerwelle (was macht ein Aussenminister auf einer Buchmesse und warum hat man dafür nicht Genscher engagiert?). Uns Guido sagte (ich zitiere hier aus der Heise-Meldung): „Deutschland als Kulturnation dürfe den Schutz des geistigen Eigentums nicht ignorieren. Kulturelle Vielfalt gebe es nur da, wo geistiges Eigentum so geschützt wird, dass auch junge Autoren eine Chance haben, von ihrer Arbeit zu leben.“

Hat er damit DIN 3015 gemeint? Schraubschellen nach DIN 3015 sind gängig, ich wollte mal kurz in die Spezifikationen reinschauen ob da auch kleinere Maße erlaubt sind und sollte für diese Norm ca. 90 EUR (sofort und bequem per Kreditkarte) bezahlen.

Oder die Arbeit von Professor „A“ auf die ich gestossen bin? Professor „A“ wird vom Staat bezahlt und hat seine Arbeit auf Staatskosten geschrieben, seine mehr oder weniger wertvolle Arbeit hätte ich für knapp 400 EUR sofort erwerben können.

Und wie kam es in Deutschland überhaupt dazu, dass wir eine Nation des Buches wurden?

Erstaunlicherweise durch ein Fehlen des Urheberrechts. Der Druck mit beweglichen Lettern wurde von Gutenberg in Deutschland erfunden, danach hat sich in DE eine Raubkopierermentalität par Excellance etabliert: Ein Buch erschien alsbald im Nachdruck ohne dass dafür Lizenzen gezahlt wurden. Der Orginal-Verlag musste also schnell, günstig und in großer Auflage seine Ware in den Markt drücken ehe die „Raubkopierer“ ans Werk gingen.

Wissen war damit plötzlich großflächig für kleines Geld verfügbar – die Deutschen wären *nie* zum Volk der „Dichter und Denker“ geworden, hätte es damals die Urheberrechtskartelle von Heute gegeben.

Gegenbeweis? England. Dort wurde geistiges Eigentum recht schnell in ein industrielles Schema von Soll und Haben, Gewinn und Verlust gepresst mit dem Ergebnis, dass der britische Buchmarkt nur hochpreisige Bücher hervorbrachte wärend das Agrarland Deutschland mit kostengünstig zu erwerbenden Wissen in Büchern (insbesondere im Bereich Technik) die Briten sehr schnell überflügelte.

Eckard Höfner dazu in einem Artikel für Telepolis: „Erst die Einführung des deutschen Urheberrechts sollte die Blüte des Buchdrucks beenden: Anzahl und Auflage von Neuerscheinungen sanken ebenso wieder wie die Autorenhonorare.“

Und wie spricht Prof. Dr. Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels weiter über die Piratenpartei: Was werden die Folgen sein? „Nach einer Woche Parlamentsarbeit haben sie bewiesen, dass sie anders sind: ahnungslos, aber transparent“, (zitiert nach einem Artikel der Financial Times) und weiter „Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor zwei Jahren an dieser Stelle bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse gesprochen und betont, die Bundesregierung werde alles daransetzen, den Urheberschutz, den Schutz des geistigen Eigentums, weltweit zu verankern“

Also auch hier einfach nur der Wunsch des Prof. Dr. Gottfried Honnefelder, dass die Regierung das Buch – genauso den Musik- und Videomarkt und insbesondere das Klima – einfach per Verordnung so fixiert wie es immer war, scheiss auf die Veränderungen drumherum.

Verstehen die Verlage und deren Sprecher nicht, was die Konsumenten wollen? Nämlich einfachen, kostengünstigen Zugang zu Unterhaltung, Wissen, Lesestoff?

Forscht man mal bisserl weiter, bekommt man den Irrsinn der Wahnvorstellungen der Verlage wie mit einem Boxhandschuh ins Gesicht gedrückt:

Ich lese – so als Beispiel – wöchentlich im Hanauer Anzeiger (meiner Heimatzeitung), dass „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche schon seit Monaten ganz weit oben auf den Beststellerlisten steht.

Bei Amazon: Taschenbuch EUR 8,95 – Audio-CD EUR 8,73 – Kindle-Edition EUR 7,99

Das Buch wurde einmal in den Computer übertragen und ist damit auf jeder Fertigungsstrecke weltweit zum günstigsten Preis reproduzierbar.

Für eine Audio-CD (vulgo „Hörbuch“) muss man zusätzlich zu Lizenzkosten die Technik und Techniker zur Bedienung der Aufnahmegeräte sowie gute Sprecher engagieren und die Kosten für die Pressung der CD einkalkulieren.

Trotzdem ist das Buch teurer als die Audio-CD – kommt mir als Verlage bitte nicht mit den Kosten einen neuen Autor zu etablieren und sonstigen Blahflasel. „Feuchtgebiete“ ist von 2009 und gerade als Erfolgstitel dürfte der fürs Kindle nicht mehr als 2 EUR kosten (welches der Preis ist, was ich bereit bin zu zahlen – siehe oben).

Auf der Buchmesse wird also wieder ein größtmögliches Maß an Bescheuertheit zelebriert.

Wir als Steuerbürger bezahlen einen riesigen Tross an internen und externen Spezialisten in Berlin die eigentlich aufgeweckt genug sein müssten, um Personen wie Guido Westerwelle zeitgemäßere Worte in den Mund zu legen.

Nämlich Worte, welche ganz deutlich klar machen dass Gesetze und Verordnungen eben nicht die Zeit auf 1964 zurückdrehen können, dass selbst der einfachste Bürger des Staates Medien wie das Internet für sein persönliches Glück und Fortkommen effektiver nutzt als es sich die drögen Redner im Bundestag vorstellen können.

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